Sonntag, 10. November 2013

Bretterbuden, die die Welt bedeuten - vom Mississippi Blues Trail

Bretterbuden, die die Welt bedeuten

Wer dem Mississippi Blues Trail folgt, entdeckt dämmrige Spelunken, verwitterte Plantagen und schillernde Legenden. von Thomas Groß

Der Groud Zero Blues Club in Clarksdale, Mississippi 


Hier also liegt er, der König des Delta Blues. Etwas imposanter haben wir uns seine letzte Ruhestätte vorgestellt, nicht so lieblos in den hintersten Winkel verbannt. Immerhin, ein Pekannussbaum spendet Schatten, und ein Stein versichert, dass er es ist: Robert Johnson, geboren am 8. Mai 1911, am 16. August des Jahres 1938 unter nie ganz geklärten Umständen gestorben. Wäre jetzt ein kühles Bier zur Hand, man würde es auf sein Wohl zischen, als Geste der Reverenz, aber auch aus Erleichterung, endlich angekommen zu sein. Zum Schluss hat sich die Sache nämlich ganz schön gezogen.


Robert Johnson CrossRoads - Cross Road Blues Song and Lyrics 
Robert Johnson Crossroad - http://johnomusic.net - "Cross Road Blues" is a song by the incredibly influential Blues singer, Robert Johnson. The song was originally released 1936 by Vocalion Records and has gone on to influence not only blue music but the world of music as a whole. Amazingly the original version of the song remained out of print until 1990, however has since been rediscovered by several new generations of Robert Johnson Crossroads fans. Because of it's significance, the song "Cross Road Blues", was inducted into the Grammy Hall of Fame in 1998.


Lass die Stadt hinter dir, nimm die Straße nach Norden, und wenn du den Tallahatchee River überquerst, sind es noch ein, zwei Meilen durch die Felder, you can’t miss it, hatte das schwarze Mädchen an der Tankstelle gesagt. Jedenfalls war es das, was wir ihrem Südstaatensingsang entnehmen zu können glaubten. Und obwohl alles sich genau so verhielt, sind wir dann doch erst einmal vorbeigefahren, vielleicht, weil die Hitze des Südens gegen Abend wie eine Wand in der Luft steht, vielleicht auch, weil der Little-Zion-Friedhof am Rand von Greenwood nicht einladender als andere Friedhöfe entlang der Landstraße aussieht. Doch Ab- und Umwege gehören dazu, wenn man auf dem Mississippi Blues Trail unterwegs ist.
Blues Trail – bereits der Name führt in die Irre. In Wahrheit handelt es sich nicht um einen Pfad, sondern um ein locker über verstreute Punkte geworfenes Netz, das nur im Zickzackkurs zu bereisen ist. Die frühen Helden dieser ländlichen, auf akustischen Instrumenten gespielten Musik, sie waren nun einmal Vaganten, die nicht danach fragten, ob sich ihr Lebensweg nachträglich zu einer Linie fügt. In Mississippi gab es von ihnen mehr als in jedem anderen Bundesstaat der USA, weshalb eine regionale "Blues Commission" aus Lokalpolitikern und Historikern bereits in den neunziger Jahren mit dem Entwurf des Trails begann. 2005 wurde der erste "Bluesmarker" aufgestellt, die erste Infotafel von mittlerweile 170. Es kommen noch regelmäßig neue hinzu, eine Website bindet alle zusammen, und längst gibt es auch eine Blues-Trail-App für alle Hartgesottenen und Hobbybluesologen, die geduldig Geburtsorte, Gräber und Wirkungsstätten abfahren möchten. Ob sie dabei fündig werden, ist eine andere Frage.
Wer nämlich im Süden der USA nach einem Königsweg zu seinen Idolen sucht, hat es anderswo leichter. In Nashville, Tennessee, quillt Country-Musik aus jeder Ritze, Memphis trumpft mit themenparkartig ausgestalteten Elvis-Gedenkstätten auf, in New Orleans wird einem der Jazz hinterhergeschmissen. Wer aber nach Mississippi kommt, in diesen ärmsten aller US-Bundesstaaten, muss dem Kargen etwas abgewinnen können, der topfebenen Landschaft, der Monotonie von Mais- und Sojabohnenfeldern, und er muss den Willen mitbringen, den spirit nicht nur aus dem strahlenden Monument entgegenzunehmen, sondern auch aus der bescheidenen Reliquie. Egal jedoch, ob er den Geist des Blues per Smartphone ortet oder sich lieber durchfragt, das Objekt bleibt flüchtig. Je näher man ihm kommt, desto weiter zieht es sich zurück.
Gleich in Greenwood lernen wir die entscheidende Lektion, direkt am mutmaßlichen Grab von Robert Johnson, jenem Musiker, der als "King of the Delta Blues" gilt – aufgrund seiner virtuosen Spielweise, die er dem Teufel persönlich im Tausch gegen seine Seele abgehandelt haben soll. Kaum haben wir vor dem Grabstein Stellung bezogen, in die Idee versunken, dass er exakt an diesem Ort ins Erdreich hinabfuhr, da rollt der Wagen einer Familie aus Texas heran. 

Streit um den "King of the Delta Blues"

Vater und Mutter, beide Mitte fünfzig, wollen ihren minderjährigen Kindern zeigen, wer hinter der Musik steckt, die sie in ihrer Jugend hörten. Viel Zeit bleibt ihnen nicht. Am frühen Nachmittag, erzählen sie, sind sie in Quito gewesen, vor Einbruch der Dämmerung wollen sie Morgan City erreicht haben. Jede der drei Gemeinden nimmt für sich in Anspruch, die Gebeine des teuflischen heiligen Robert zu beherbergen, jeweils mit Gedenkstein. Ob wir die richtige Stelle erwischt haben, steht und fällt mit der Zeugenaussage einer Frau namens Rose Eskridge. Rose Eskridge indes hat bloß auf dem Totenbett verblasste Erinnerungen weitergegeben, und die Greenwooder Bluesforscher, die ihr die Beichte abnahmen, könnten aus naheliegenden Gründen interessegeleitet gewesen sein. Letzte Klärungen sind aufgrund fehlender Dokumente unmöglich.


Mindestens vier Orte kämpfen darum, den Blues zur Welt gebracht zu haben

Die ehemalige Hopson Plantaion am Highway 49


Die ehemalige Hopson Plantaion am Highway 49  |  CC BY-ND 2.0 Social_Stratification
Ähnlich verhält es sich mit dem Ehrentitel "Birthplace of the Blues". Mindestens vier Orte kämpfen darum, den Blues zur Welt gebracht zu haben, darunter das Städtchen Tutwiler. Tutwiler ist ein schmuckloses, um eine einzige Straße herum gruppiertes Nest, kaum ist man drin, ist man auch schon wieder draußen, doch vor rund hundert Jahren soll hier ein Mann namens W. C. Handy einem herumlungernden Musikanten begegnet sein, der, ein Messer quer über die Saiten seiner Gitarre gelegt, die "irrste Musik" erzeugte, die ein Mensch sich vorstellen kann. So jedenfalls steht es auf dem Bluesmarker geschrieben, der im stillgelegten Bahnhof aus dem Gras ragt.



W.C. Handy -Memphis Blues- Eubie Blake Piano Roll


W. C. Handy hat es wirklich gegeben, er war ein angesehener Komponist und Bandleader aus Alabama, der aufgrund seiner Studien in schwarzer Musik als "Father of the Blues" gilt. Seine Tutwiler-Epiphanie ist unzählige Male weitererzählt worden, es gibt sogar ein Gemälde, das die Szene in leuchtenden Farben festhält. Ob damit ihr Wahrheitsgehalt gestiegen ist, spielt eine untergeordnete Rolle. Es ist eine Pilgerreise, die zu den Stätten des Blues führt. Wie bei jeder Pilgerreise hängt der Erfolg maßgeblich vom Glauben ab.
Dass man trotzdem bester Laune durchs Delta tuckert, hat mit der unglaublichen Erfolgsgeschichte des Blues zu tun. Was einmal so unbeachtet begann, dass niemand es für nötig hielt, Aufzeichnungen davon zu machen, gehört inzwischen zum Weltkulturerbe. Jeder, der über einen Plattenspieler verfügt, hat diese Gegend schon einmal bereist, in Liedern, die von Whisky und Frauen erzählen, von endlosen Straßen und Entscheidungen, die an der nächsten Kreuzung auf einen warten. Der Blues ähnelt selbst einer Erzählung, die von Generation zu Generation weitergereicht und dabei jedes Mal ein bisschen ausgeschmückt wurde. Jetzt ist man auf einmal wirklich auf dem Highway 61 unterwegs, und gerade die malerische Einöde ringsumher versetzt einen in einen Zustand meditativer Trance. Kein Kaff, das nicht an irgendeine Songzeile erinnert. Kein Kirchlein ohne den Gedanken an ekstatische Gospelgottesdienste – Mississippi ist keine Landschaft, sondern ein Mythos. Da macht es auch nichts, dass der mächtige Fluss sich hinter hohen Deichen verbirgt.
Wir sind inzwischen in Clarksdale angelangt, einem 20.000-Seelen-Städtchen mit ruhmreicher Bluestradition: Hier kam jeder vorbei, der von Süden nach Norden reiste und umgekehrt. Vom einstigen Glanz ist wenig geblieben, Clarksdale dämmert vor sich hin und erwacht erst nach Sonnenuntergang zu bescheidenem Leben. Beim Gang durchs Zentrum fühlt man sich angesichts der Barber Shops und Art-déco-Fassaden an die Kulisse eines Films erinnert, der in den Dreißigern spielt, doch gerade der Stillstand der Zeit wirkt fantasiebeflügelnd: Clarksdale hat ihn, den Blues. We blues you ’til we lose you versprechen in Clubfenster gehängte Zettel.
Wer dem Geist des Blues auch im Schlaf nahekommen will, übernachtet im Riverside Hotel, einem einstöckigen Ziegelbau, der unscheinbar im Schwarzenviertel liegt. Gleich beim Eintreten empfängt einen Zee, eine freundliche Person von Gewicht, mit einer Kurzführung. Sämtliche Größen des Blues seien hier abgestiegen, sie hätten keine andere Wahl gehabt: Zu Zeiten der Rassentrennung stand ihnen in Clarksdale allein das Riverside offen. In Zimmer 11, einem mit CDs und Gemälden schreinartig ausgestalteten Raum gleich hinter der Rezeption, starb 1937 Bessie Smith, die "Kaiserin des Blues". Nach einem Autounfall hatte das örtliche Krankenhaus ihr die Aufnahme verweigert.
An dieses wenig rühmliche Kapitel erinnert sich Clarksdale ungern, der Stolz der Stadtväter ist heute das Delta Blues Museum. Dass hier ein anderer Wind weht als sonst wo im Ort, beweist bereits der blitzblanke Shop am Eingang: Das Delta Blues Museum ist, zusammen mit dem B. B. King Museum in Indianola, Mississippis bislang ehrgeizigster Versuch, den Blues im großen Stil ausstellbar zu machen.



Listening Guide to Backwater Blues by Bessie Smith



B.B. King - Blues Boys Tune





Nach Tagen auf Achse, immer von einem Örtchen zum anderen, wirken die wohldesignten, voll klimatisierten Räume wie ein Schock. Willfährig lassen wir uns an Gitarren, Bühnenkleidern, Schallplattencovern und anderen Devotionalien vorbei zu einem Objekt besonderer Art leiten. Im letzten Raum steht es dann, das Prachtstück der Sammlung, ein aus rohen Planken gezimmertes, halb verwittertes Baumwollpflückerhüttchen, angestrahlt wie ein Ufo: Darin hat McKinley Morganfield gelebt, bevor er unter dem Namen Muddy Waters so berühmt wurde, dass die Rolling Stones sich nach einem Song von ihm benannten. Doch solche postmortalen Heimholungen sind im Delta die Ausnahme. Die meisten Blues-Hinterlassenschaften stehen noch immer so pittoresk verloren in der Gegend wie die Dockery Farms.
Eintritt verlangt hier, zehn Meilen außerhalb von Cleveland, niemand, keine Menschenseele stört den Frieden des Geländes, zu sehen sind zwei weiß gestrichene, verwitterte Holzbauten mit einer alten Tankstelle davor und ein einsamer Bluesmarker, der Geschichtsunterricht erteilt. In den zwanziger Jahren, als die Baumwollindustrie in Mississippi boomte, zog der landwirtschaftliche Betrieb der Familie Dockery Arbeitskräfte aus der gesamten Region an, darunter auch Bluesmänner, die abends zur Unterhaltung aufspielten. Auf Dockery kommen wir der sozialen Wirklichkeit des Mississippi-Blues schon näher als im Museum: Er verdankt seine Blüte dem Aufschwung, den die Region damals erfuhr. Trotz der Armut der schwarzen Landarbeiter muss durch die Ernte, Entkernung und Verladung von Baumwolle genügend Geld geflossen sein, um dem Mann mit der Gitarre einen Nickel zu spendieren. Vieles spricht auch dafür, dass der Blues eine spaßigere Angelegenheit war, als die verbreitete (weiße) Vorstellung vom Klagegesang es will – es ging darum, die Mühen der Feldarbeit wenigstens für ein paar Stunden vergessen zu machen. In der Senke hinter der weitläufigen Anlage stand einmal eine kleine Stadt, mit Verwaltungsgebäuden, Möbelläden und Vergnügungsstätten; doch wie sie genau aussah, lässt sich kaum mehr erahnen. Bloß die Mühle und die Packstation sind erhalten, ein paar rostige Gleise verlieren sich im Dickicht. Der Rest bleibt der Vorstellungskraft überlassen.


Die Einrichtung: Ein Tresen, eine Kühlbox, jede Menge Rotlichtlampen

Das Gerät, das Schluss machte mit dieser proletarischen Blueskultur, gammelt auf einer anderen Farm vor sich hin. Auch die am Highway 49 vor den Toren Clarksdales gelegene Hopson Plantation war einmal ein Anziehungspunkt für Glückssucher und fahrende Musikanten. Heute finden auf dem Gelände gelegentlich Konzerte statt, aber meist wirkt, was noch steht, wie ein Freilichtmuseum, in dem der Rost regiert. Alles ist angefressen, die Dachrinnen, die Kleinlaster und auch die direkt vor dem wuchtigen Hauptgebäude in den Schlamm gesetzte Baumwollpflückmaschine. Schwer zu fassen, dass es sich bei ihr um ein Objekt von historischer Bedeutung handelt. Man glaubt, einen ausgemusterten Traktor vor sich zu haben, doch in den vierziger Jahren revolutionierte dieser Gerätetyp die Baumwollernte: Von einem Tag auf den anderen kostete das Abernten eines Felds nur noch ein Viertel. Schwarze Hände waren nicht mehr gefragt, ein Exodus in die Fabriken des Nordens setzte ein. Ironie der Geschichte: Während der Blues sich im Chicago der Vierziger und Fünfziger modernisierte, elektrifizierte, um schließlich den Erdball zu erobern, erlebte Mississippi zwar eine letzte kurze Hochphase, versank danach jedoch in einen Dornröschenschlaf, der im Grunde noch andauert und den der Tourismus bisher kaum stört.
Heute wird die Baumwolle billig in Mexiko produziert, die Mais- und Sojabohnenfelder, die in Mississippi an ihre Stelle getreten sind, dienen der Herstellung von Brennstoffen und Plastik, und der Blues – es gibt ihn noch, aber er wirkt wie reimportiert. Im Ground Zero, Clarksdales touristenfreundlichstem Club, geht allabendlich ein Revival-Blues über die Bühne: Der Laden ist jung, die Darsteller sind alt, das Publikum ist weiß, die Bedienungen sind schwarz und heißen Shalanda, Lashanta oder Tameale – "but you can call me T!" Die bessere, jedenfalls ungeschminktere Wahl ist das runtergerockte Red’s jenseits der Bahngleise, wo Clarksdale unübersichtlich auszufransen beginnt und die schwarze Bevölkerung sich auf halb verfallenen Veranden Luft zufächelt. Die Einrichtung besteht aus nicht viel mehr als einem Tresen, einer Kühlbox und jeder Menge Rotlichtlampen. Als wir eintreffen, greifen gerade ein Dicker, ein Zwölfjähriger und ein Gehbehinderter zu den Instrumenten. Die namenlose Band spielt mitreißend, das Repertoire erstreckt sich von den Temptations bis hin zu Jimi Hendrix. Zur Zugabe wälzt der Dicke sich mit umgeschnallter E-Gitarre am Boden, allein: Delta-Blues ist das nicht mehr.

So könnte der Blues ausgesehen haben – eine verschwitzte Wochenendsause

Also noch einmal raus auf die Straße und runter nach Leland: Es heißt, im dort ansässigen Highway 61 Museum habe sich ein Original erhalten. Tatsächlich, da sitzt Pat Thomas vor einer vollgestopften Vitrine und empfängt uns mit einem Ständchen auf der Akustischen. Das Museum ist sein Stammplatz, und der Ort ist auch unter ästhetischen Gesichtspunkten gut gewählt: Das verstaubte Ambiente des Highway 61 Museum mit seinen auf zwei Räume verteilten Instrumenten und Bühnenklamotten harmoniert wunderbar mit Pats Erscheinung. Pat ist nicht nur der Sohn des Urbluesers James "Son" Thomas, mit seinem zahnlosen Mund und dem Strohhut sieht er aus, als wäre er einem Fotoband entsprungen. Als Musiker beherrscht er alle Tricks, sein Renommierstück indes ist der Beefsteak Blues, ein Song, der auf subtile Art darauf hinweist, dass der Mensch etwas zum Beißen braucht. Selbstverständlich kommt man aus der Nummer nicht heraus, ohne ein angemessenes Trinkgeld entrichtet zu haben. Gern geschehen. Wenn er nicht selbst ein Museumsstück ist, muss Pat Thomas der letzte echte Mississippi-Bluesmann sein.

Pat Thomas performing "What A Way It Used To Be" (Deleted scene from the film M FOR MISSISSIPPI


Der letzte Laden aber, in dem der Blues als gesellige Abendunterhaltung eine Zuflucht gefunden hat, ist das Po’ Monkey’s. Fast wären wir mal wieder vorbeigefahren, so versteckt liegt es im Hinterland des Fleckens Merigold kurz vor Cleveland. Selbst wenn man direkt davorsteht, ist nicht viel mehr zu sehen als ein weiteres, windschief auf den Acker gesetztes Holzhüttchen. Kaum allerdings ist man die hühnerleiterartige Treppe hinaufgestiegen, öffnet sich eine bizarre Szenerie: Affenfiguren bedecken jeden freien Zentimeter des fensterlosen Innenraums, Affen in Plüsch, in Plastik, aufgeblasen, in Ton geknetet oder als Sexspielzeug mit integriertem Dildo, mittendrin der Betreiber: Herr Monkey. Monkey, der eigentlich Willie Seaberry heißt, ist über 70 und hauptberuflich Traktorfahrer. An Donnerstagabenden aber wird er zum Clubbetreiber, der seinen drei Dutzend Gästen – mehr gehen nicht rein – auch als Entertainer begegnet. Stündlich wechselt er seine Aufmachung, mal erscheint er mit Langhaarperücke, mal mit leuchtdiodenblinkendem Bierglas, mal im eleganten Abendanzug.
Livemusik wird im Po’ Monkey’s nur selten geboten – zu teuer, zu aufwendig –, es geht darum, bei Bier, selbst mitgebrachtem Whisky und einer Partie Billard eine gute Zeit zu haben: Feel at home lautet die Devise. Später am Abend ordnet sich das Geschehen ohnehin ganz dem Vergnügen unter. Sobald die ersten Frauentrupps eintreffen, ruht die Billardkugel, der DJ macht tüchtig Dampf mit rauem Rhythm ’n’ Blues, und dann geht es Schlag auf Schlag. Wo all die überbordend aufgebrezelten Ladys mit der Figur von Sumoringern herkommen, die die Tanzfläche entern, will man gar nicht wissen. Es reicht, dass sie schütteln, was sie haben.
Dass das Monkey’s einer Kulthöhle gleicht, ist Teil seines Charmes: Modischem Firlefanz steht man hier ablehnend gegenüber, stoisch trotzt der Laden seit einem halben Jahrhundert allen Zeitläuften. So könnte der Blues ausgesehen haben, bevor das weiße Publikum ihn für sich entdeckte: eine große, verschwitzte Wochenendsause, bei der der Spaß wichtiger ist als die Musik. Ob es wirklich so war, muss auch in diesem Fall offenbleiben. Doch wen kümmert die Wirklichkeit, wo die Legenden blühen? Wenigstens für einen Moment hat das Phantom namens Blues sein Gesicht gezeigt. Tief in der Nacht verlassen wir den Ort mit dem Gefühl, ein wunderbares Date mit ihm gehabt zu haben.


Mississippi Delta Blues 
 Floyd Lee's performance in New York

Mississippi blues harmonica (Pride and Joy) 
Adam Gussow sings and plays Stevie Ray Vaughan's "Pride and Joy" at the crossroads in rural Lafayette County, Mississippi, a few miles outside Oxford. This video was recorded on May 15, 2012. Gussow is playing a stock Hohner Marine Band harmonica, key of Ab.

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